In Irland blieb der ursprüngliche Sinn besonders lange lebendig: Mönche verließen ihre Heimat, um in der Fremde ihre geistliche „Wüste“ zu suchen. Auch in angelsächsischen Regionen wurde diese Lebensform praktiziert, allerdings mit Akzentverschiebungen: Missionstätigkeit trat stärker in den Vordergrund, Pilgerreisen erfolgten zunehmend im Familienverband, und die Reise nach Rom wurde zur klassischen Wallfahrt und Studienreise. Frauen und Adelige nahmen vermehrt teil. Gleichzeitig wurde aber auch Kritik laut – irische Stimmen verurteilen die neue Form der Rom-Peregrinatio als „Torheit“ und „Wahnsinn“, und auch Bonifatius kritisiert die Verweltlichung des Pilgerideals.
In der Vita des Willibald aber lebt das alte Ideal der peregrinatio ex patria fort, also des radikalen Verlassens der Heimat um Christi willen. Willibalds Reise durch den Orient ist nicht nur geografisch weiter, sondern existenziell tiefgreifender: Sie bleibt ein „Umherirren“ auf der Suche nach einer endgültigen asketischen Lebensform – ohne sichtbaren Plan, aber mit spiritueller Zielrichtung.
Dabei begegnet Willibald fortwährend dem Fremden – geografisch, kulturell und religiös. Doch auffällig ist, dass die Darstellung des Fremden weitgehend sachlich und undramatisch bleibt. Selbst andersgläubige Menschen – wie Juden in Tiberias oder „heidnische Sarazenen“ – werden meist ohne Polemik beschrieben. So zeigt sich in Willibalds Reise kein polemischer Gegensatz zwischen Christentum und „dem Fremden“, sondern ein Bewusstsein für eine gemeinsame, spätantike Welt, in der selbst der Orient noch Teil eines größeren Ganzen ist. Röwekamp betont, dass „die Beschreibung des Fremden in der Regel sehr sachlich erfolgt“ und dass „wenig Neugier auf Fremdes“ zu spüren ist – was die Vita von späteren, stark exotisierenden Reiseberichten abhebt.
„Peregrinatio“, ein spiritueller Weg
Dabei spiegelt Willibalds Lebensweg verschiedene Formen des monastischen Ideals wider: Von der Kindheit als Oblate im Kloster über die peregrinatio, das eremitische Leben in Konstantinopel, das stabile Klosterleben in Monte Cassino bis hin zum Dienst als Missionsbischof in Eichstätt. „Insofern vereint Willibald alle großen Strömungen des Mönchtums seiner Zeit. Seine Biographie wird so zur Erzählung eines geistlichen Reifungsprozesses, der in einer stabilen Verankerung in Dienst und Gemeinschaft mündet“, so Röwekamp. In der Rückschau stellt sich daher auch die Bewertung des peregrinatio-Ideals differenzierter dar. Seine Vita dokumentiert nicht nur eine asketische Suche, sondern einen spirituellen Weg, der verschiedene Stadien des Christseins durchläuft – und dadurch selbst zu einem Modell für eine tiefere Form der peregrinatio wird.
Am Ende seiner Überlegungen zur Vita des Heiligen Willibald stellt Georg Röwekamp die Frage, ob dessen Lebensform als peregrinus, also als religiöser Wanderer und Heimatloser, auch heute noch Bedeutung hat. Für ihn hängt dies entscheidend davon ab, „was jemand macht aus diesem ‚Lebensstil‘ bzw. wozu die damit verbundene Freiheit genutzt wird.“ Anhand historischer Beispiele wie Petrus dem Iberer oder Jakob Baradai zeigt Röwekamp, dass solche Wanderexistenzen durchaus fruchtbar für Kirche und Gesellschaft sein können – auch wenn sie eher unfreiwillig zu „Pilgern“ wurden. „Zumindest den beiden Genannten ist gemeinsam, dass sie eine solche Lebensform […] nicht freiwillig gewählt haben: Somit entfällt schon einmal der Verdacht, sie würden dies als asketische Leistung oder gar als Verdienst ansehen.“