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24.06.2025

„Pilgern in die Fremde“ – zu Zeiten Willibalds und heute

„St. Willibald, ein Königssohn als Pilgrim im hl. Land von Fleckfieber befallen wird wunderbar geheilt“: Ausschnitt einer Skulptur im Willibaldschor des Eichstätter Doms. Foto: Geraldo Hoffmann/pde

Eichstätt – Welche Bedeutung hat die Pilgereise des heiligen Willibald für das Pilgerwesen heute? Mit dieser Frage hat sich der Theologe Georg Röwekamp, Leiter des Pilgerhauses Tabgha des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande (DVHL) am See Genezareth befasst. Im bewegten Leben des Eichstätter Bistumspatrons sieht er ein Modell für die Spiritualität unserer Zeit.

Vor 1300 Jahren ist Willibald als Pilger im Heiligen Land angekommen, wo er offenbar von Fleckfieber oder Flecktyphus befallen wurde. An die Pilgerreise erinnert ein Mosaik in der Dormitio-Abtei, dem deutschsprachigen Benediktinerkloster auf dem Zionberg. Anlässlich dieses Jubiläums fand am Jahrestag der Ankunft, dem 11. November 2024, eine internationale Konferenz in Jerusalem statt. Georg Röwekamp hat die Tagung mitorganisiert und einen Vortrag über „Willibald und die peregrinatio ex patria“ gehalten.

Röwekamp stellt darin fest, dass viele alte Texte, die als Pilgerberichte gelten, in Wahrheit Reiseführer oder Lebensbeschreibungen sind. Der Bericht über Willibalds Reise ist Teil seiner Vita, verfasst von der Nonne Hugeburc, und zeigt, dass seine Pilgerreise Ausdruck eines asketischen Lebensideals war. Dabei ging es weniger um den Besuch heiliger Orte als um eine dauerhafte „Fremdheit“ (peregrinatio ex patria) als spirituelle Lebensform – ein radikales Verlassen von Heimat und Besitz zugunsten einer höheren, gottgeweihten Existenz.

Ausgehend von Jesu Worten über seine eigene Heimatlosigkeit entwickelte sich im frühen Christentum ein Stand von wandernden Aposteln und Propheten, die hoch geschätzt waren. Im Osten hielt sich diese asketische Lebensform trotz wachsender Bischofsmacht besonders lange. Das Leben in der Fremde wurde zu einer Form frühchristlicher Askese. Auch im Westen war das Ideal der peregrinatio, ein Leben in der Fremde um Christi willen, verbreitet. Der Begriff „Pilgern“ (peregrinatio) wurde anfangs noch allgemein für Fremdsein oder das Leben als Gast verwendet. Erst im 6. Jahrhundert begann man ihn im engeren Sinne als Wallfahrt zu heiligen Stätten zu verstehen.

Romreise: „Torheit“ und „Wahnsinn“?

In Irland blieb der ursprüngliche Sinn besonders lange lebendig: Mönche verließen ihre Heimat, um in der Fremde ihre geistliche „Wüste“ zu suchen. Auch in angelsächsischen Regionen wurde diese Lebensform praktiziert, allerdings mit Akzentverschiebungen: Missionstätigkeit trat stärker in den Vordergrund, Pilgerreisen erfolgten zunehmend im Familienverband, und die Reise nach Rom wurde zur klassischen Wallfahrt und Studienreise. Frauen und Adelige nahmen vermehrt teil. Gleichzeitig wurde aber auch Kritik laut – irische Stimmen verurteilen die neue Form der Rom-Peregrinatio als „Torheit“ und „Wahnsinn“, und auch Bonifatius kritisiert die Verweltlichung des Pilgerideals.

In der Vita des Willibald aber lebt das alte Ideal der peregrinatio ex patria fort, also des radikalen Verlassens der Heimat um Christi willen. Willibalds Reise durch den Orient ist nicht nur geografisch weiter, sondern existenziell tiefgreifender: Sie bleibt ein „Umherirren“ auf der Suche nach einer endgültigen asketischen Lebensform – ohne sichtbaren Plan, aber mit spiritueller Zielrichtung.

Dabei begegnet Willibald fortwährend dem Fremden – geografisch, kulturell und religiös. Doch auffällig ist, dass die Darstellung des Fremden weitgehend sachlich und undramatisch bleibt. Selbst andersgläubige Menschen – wie Juden in Tiberias oder „heidnische Sarazenen“ – werden meist ohne Polemik beschrieben. So zeigt sich in Willibalds Reise kein polemischer Gegensatz zwischen Christentum und „dem Fremden“, sondern ein Bewusstsein für eine gemeinsame, spätantike Welt, in der selbst der Orient noch Teil eines größeren Ganzen ist. Röwekamp betont, dass „die Beschreibung des Fremden in der Regel sehr sachlich erfolgt“ und dass „wenig Neugier auf Fremdes“ zu spüren ist – was die Vita von späteren, stark exotisierenden Reiseberichten abhebt.

„Peregrinatio“, ein spiritueller Weg

Dabei spiegelt Willibalds Lebensweg verschiedene Formen des monastischen Ideals wider: Von der Kindheit als Oblate im Kloster über die peregrinatio, das eremitische Leben in Konstantinopel, das stabile Klosterleben in Monte Cassino bis hin zum Dienst als Missionsbischof in Eichstätt. „Insofern vereint Willibald alle großen Strömungen des Mönchtums seiner Zeit. Seine Biographie wird so zur Erzählung eines geistlichen Reifungsprozesses, der in einer stabilen Verankerung in Dienst und Gemeinschaft mündet“, so Röwekamp. In der Rückschau stellt sich daher auch die Bewertung des peregrinatio-Ideals differenzierter dar. Seine Vita dokumentiert nicht nur eine asketische Suche, sondern einen spirituellen Weg, der verschiedene Stadien des Christseins durchläuft – und dadurch selbst zu einem Modell für eine tiefere Form der peregrinatio wird.

Am Ende seiner Überlegungen zur Vita des Heiligen Willibald stellt Georg Röwekamp die Frage, ob dessen Lebensform als peregrinus, also als religiöser Wanderer und Heimatloser, auch heute noch Bedeutung hat. Für ihn hängt dies entscheidend davon ab, „was jemand macht aus diesem ‚Lebensstil‘ bzw. wozu die damit verbundene Freiheit genutzt wird.“ Anhand historischer Beispiele wie Petrus dem Iberer oder Jakob Baradai zeigt Röwekamp, dass solche Wanderexistenzen durchaus fruchtbar für Kirche und Gesellschaft sein können – auch wenn sie eher unfreiwillig zu „Pilgern“ wurden. „Zumindest den beiden Genannten ist gemeinsam, dass sie eine solche Lebensform […] nicht freiwillig gewählt haben: Somit entfällt schon einmal der Verdacht, sie würden dies als asketische Leistung oder gar als Verdienst ansehen.“

„Pilgernde Kirche“, Gemeinschaft von Suchenden

Diese unfreiwillige Form der peregrinatio vergleicht Röwekamp mit dem Leben heutiger Migrantinnen und Migranten im Heiligen Land – etwa äthiopischen, eritreischen oder philippinischen Gläubigen, die trotz prekärer Lebensverhältnisse tiefe Frömmigkeit und Nächstenliebe zeigen. „Dann frage ich mich: Sind sie nicht die wahren peregrini, die echten Pilger unserer Zeit?“ Ihr gelebter Glaube kontrastiert für Röwekamp mit der eher bequemen Form heutiger religiöser Bildungsreisen, die er nur zögerlich als echte Pilgerfahrten bezeichnen möchte: „Nicht dass ich die moderne Wallfahrt gering schätzen wollte […], aber ich scheue mich immer schon, sie als Pilgerreisen zu bezeichnen, weil dazu mehr gehört.“

Zugleich erkennt Röwekamp im biographischen Weg Willibalds – mit seinen wechselnden Lebensformen und Brüchen – ein Modell für die Spiritualität unserer Zeit. Die Vielfalt der Lebensphasen Willibalds könne unsere Sensibilität stärken „für die manchmal krummen Lebenswege von Menschen unserer Tage.“ Auch das Gefühl vieler Menschen, heute religiös „heimatlos“ zu sein, betrachtet er im Licht des peregrinatio-Gedankens. Angesichts ihrer Erfahrung religiöser Entfremdung fragt er: „Sind vielleicht auch sie wahre (unfreiwillige) peregrini unserer Zeit […] auf der Suche nach der ‚wahren Heimat‘, diese schmerzliche Existenz auf sich nehmend, weil sie wissen, dass wir hier keine bleibende Stadt haben?“

Abschließend schlägt Röwekamp noch einmal eine Brücke zur Theologie der frühen Kirche, in der Wahrheit und Kirche selbst als peregrinae, also als „Fremdlinge auf Erden“ verstanden wurden. Diese Sichtweise könne durch einen Blick auf Willibalds Vita neu belebt werden: „Vielleicht hilft ein Willibald mit seiner Form der peregrinatio sogar, das etwas blass gewordene Bild von der ‚pilgernden Kirche‘ neu zu verstehen.“ Die Kirche sei dann eine „Gemeinschaft von Suchenden, von Menschen auf dem Weg“, und alle menschlichen Sicherheiten – auch kirchliche Strukturen – nur „Herbergen für vorübergehenden Aufenthalt“ oder „Feldlazarette“, wie Papst Franziskus sagte. Wahre Pilgerschaft bedeute letztlich: unterwegs sein zu einer Heimat, die nicht von dieser Welt ist.

Zusammengefasst von Geraldo Hoffmann

Alle Vorträge der Konferenz „Willibald in Jerusalem“ werden als Buch erscheinen.

Die Willibaldswoche findet seit 2009 jährlich statt. Anlass der Begegnungs- und Wallfahrtswoche für die Gläubige der Diözese Eichstätt ist der Gedenktag des Bistumsgründers Willibald, dessen Todestag der 7. Juli 787 war. In diesem Jahr steht die Festwoche unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“ und findet vom 4. bis 13. Juli in Eichstätt statt.

Das Programm und weitere Infos unter www.willibaldswoche.de.

Willibaldswoche

Die Willibaldswoche findet seit 2009 jährlich statt. Anlass der Begegnungs- und Wallfahrtswoche für die Gläubige der Diözese Eichstätt ist der Gedenktag des Bistumsgründers Willibald, dessen Todestag der 7. Juli 787 war.

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